Freitag, 21. September 2007

Bertold Brecht (1898 - 1956)/ Über das Frühjahr (1928)

Lange bevor
Wir uns stürzten auf Erdöl, Eisen und Ammoniak
Gab es in jedem Jahr
Die Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume,
Wir alle erinnern uns
Verlängerter Tage
Helleren Himmels
Änderung der Luft
Des gewiss kommenden Frühjahrs.
Noch lesen wir in Büchern
Von dieser gefeierten Jahreszeit
Und doch sind schon lange
Nicht mehr gesichtet worden über unseren Städten
Die berühmten Schwärme der Vögel.
Am ehesten noch sitzend in Eisenbahnen
Fällt dem Volk das Frühjahr auf.
Die Ebenen zeigen es
In alter Deutlichkeit.
In großer Höhe freilich
Scheinen Stürme zu gehen:
Sie berühren nur mehr
Unsere Antennen

Eduard Mörike (1804-1875) / Er ist’s (1832)

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte:
Süße wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
- Horch, von fern ein leiser Harfenton !
Frühling, ja du bist’s !
Dich hab ich vernommen !

Ulla Hahn/ Mit Haut und Haar (1981)

Ich zog dich aus der Senke deiner Jahre
und tauchte dich in meinen Sommer ein
ich leckte dir die Hand und Haut und Haare
und schwor dir ewig mein und dein zu sein.

Du wendetest mich um. Du branntest mir dein Zeichen
mit sanftem Feuer in das dünne Fell.
Da ließ ich von mir ab. Und schnell
begann ich vor mir selbst zurückzuweichen

und meinem Schwur. Anfangs blieb noch Erinnern
ein schöner Überrest der nach mir rief.
Da aber war ich schon in deinem Innern
vor mir verborgen. Du verbargst mich tief

Bis ich ganz in dir aufgegangen war:
da spucktest du mich aus mit Haut und Haar.

Andreas Gryphius (1616 - 1664) / Es ist alles eitel

Du sihst/ wohin du sihst/ nur Eitelkeit auff erden
Was dieser heute bawt/ reist jener morgen ein:
wo itzund städte stehn/ wird eine wiesen sein
Auff der ein schäffers Kind wird spilen mit den herden.

Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden.
Was itzt pocht und trotzt ist morgen asch vnd bein.
Nichts ist das ewig sey/ kein ertz kein marmorstein.
Itzt lacht das gluck vns an/ bald donnern die beschwerden.

Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn.
Soll den das spiell der zeitt/ der leichte mensch bestehn.
Ach! was ist alles dis was wir für köstlich achten/

Als schlechte nichtikeitt/ als schaten staub vnd windt.
Als eine wiesen blum/ die man nicht wiederfindt.
Noch will was ewig ist kein einig mensch betrachten.

Gottfried Benn / Reisen (1950)

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat ?

Meinen Sie aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot ?

Bahnhofstraßen und Ruen
Boulevards, Lidos, Laan -
selbst auf den Fifth Avenuen
fällt Sie die Leere an -

Ach, vergeblich das Fahren !
Spät erst erfahren Sie sich:
bleiben und stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.

Johann Wolfgang von Goethe / MIGNON (ca. 1782/1785)

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen,
Im dunklen Laub die Gold-Orangen blühen,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl ?
Dahin ! Dahin
Möchte’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn !
Kennst du das Haus, auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Kennst du es wohl ?
Dahin! Dahin
Möchte’ ich mit dir, o mein Beschützer ziehn !
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg ?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut:
Kennst du ihn wohl ?
Dahin! Dahin
Geht unser Weg, o Vater, laß uns ziehn !

Georg Trakl 1914 / Grodek

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldenen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das Vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarzer Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain.
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolze Trauer! Ihr ehernen Altäre.
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz.
Die ungebornen Enkel.